Dirndl, Lederhose und bayerische Kultur nach der Wiesn – “so last season“ oder immer aktuell?
Langsam neigt sich die „5. Jahreszeit“, wie die Fans das Oktoberfest gerne nennen, wieder dem Ende zu. Es ist das größte Volksfest weltweit – jährlich kommen Millionen von Menschen auf die Theresienwiese nach München, um an der „bayerischen Kultur“ teilzuhaben. Das traditionelle Getränk der Bayern – Bier – wird auf jeden Fall nicht in Maßen, sonder eher in Mass(en) ausgeschenkt, weshalb so ein „Wiesn“-Besuch auch nicht immer für Jeden gut endet. Doch wie viel bayerische Kultur steckt noch in dem Spektakel, das jedes Jahr für zwei Wochen München lahmlegt? Ein Indiz dafür sind auf jeden Fall die farbenfrohen Dirndl und zünftigen Lederhosen, von denen nicht nur waschechte Bayern gleich mehrere im Schrank haben.
Tracht im Wandel
Das Oktoberfest fand 1810 zum ersten Mal statt und hat in den letzten Jahrzehnten einen ziemlichen Wandel durchlaufen, was man vor allem an der Mode der Besucher sehen kann. Das traditionelle Dirndl, welches bis zu den Knöcheln reichte und in der Regel aus einfachen Stoffen in dezenten Farben bestand, wird heutzutage aufgepeppt, wo es nur geht. Egal ob mit Seide, Samt, Pailletten, ausgefallenen Prints oder Neonfarben – „Hauptsache auffallen“ ist bei vielen die Devise. Auch mit bunten Blusen, bauschigen Unterröcken oder dem Weglassen der Schürze wird die traditionelle Bekleidung von den jungen Mädchen neu interpretiert. Zur Lederhose ziehen die modernen „Burschen“ ihre Turnschuhe, Caps und Hoodies an, wenn ein Fußballspiel ansteht gerne auch mal das Trikot der Lieblingsmannschaft statt dem obligatorischen Hemd. Mittlerweile sind auch einige Frauen vom Dirndl auf die Lederhose umgestiegen, wobei natürlich auch die Länge, oder besser gesagt Kürze, angepasst wurde.
Für „Preißn“: Es gab ein Leben vor der Wiesn
Wer in der bayerischen Kultur nicht bewandert ist, der könnte meinen, dass diese eine Erfindung der Unterhaltungsindustrie ist – oder, wie außerhalb Deutschlands gerne vermutet wird, dass nicht nur im wilden Süden das Herz für Trachten und Co. schlägt, sondern überall so rumgelaufen, den ganzen Tag Bier getrunken und Volksmusik gehört wird. Tatsächlich war die Tracht von jeher besonderen Gelegenheiten – wie sie die Wiesn ja auch irgendwie ist – vorbehalten. Früher wurden Dirndl und Lederhosen als Festtagsgewand bei sämtlichen Feiertagen, festlichen Veranstaltungen und dem sonntäglichen Kirchenbesuch getragen. Sie unterschied sich je nach Wohnort in bestimmten Merkmalen, sodass aufgrund der Kleidung eine regionale Zuordnung möglich war. Heute werden Dirndl und Lederhose nur noch von traditionelleren Familien zu bestimmten Festen wie Hochzeit, Firmung und Erstkommunion getragen. Aber mit Stolz – und richtig tief in die Tasche gegriffen wird für diese Schmuckstücke, damit bei festlichen Anlässen nicht nur die deftige bayerische Küche und die traditionelle Blasmusik bewundert werden können, sondern vor allem auch die sexy Damenwelt und die feschen Herren.
Vereinsmeisterei á la Bavaria
Das Anliegen, durch regionale Besonderheiten ein Gemeinschaftsgefühl zu erzeugen, findet man auch heute noch in den ländlicheren Gegenden Oberbayerns. Die jungen Leute aus einem Dorf schließen sich zu sogenannten „Burschenschaften“ zusammen, zu denen mittlerweile auch Mädchen gehören. Die Männer eines solchen Verbandes besitzen alle ein einheitliches Verbindungsstück zwischen den Trägern ihrer Lederhose, welches „Steg“ genannt wird. Auf diesem Steg kann man meist den Namen und eine Besonderheit des Wohnorts, wie z.B. ein Wappen oder eine Abbildung der Dorfkirche, sehen. Der Zweck dieser Burschenschaften ist es, dass die Jugendlichen eines Dorfes Zeit miteinander verbringen und die traditionellen, bayerischen Werte nicht in Vergessenheit geraten. Außer ihnen gibt es noch viele andere Vereine, in denen die traditionelle Kleidung eine wichtige Rolle spielt. In eigenen Trachtenvereinen werden vor allem Paartänze und der „Schuhplattler“, ein spezieller Tanz, der nur von Männern praktiziert wird, geübt. Alle Vereinsmitglieder besitzen komplett identische Dirndl und Lederhosen. Auch bei Auftritten der Blaskapellen oder des Schützenvereins darf die einheitliche Kleidung nicht fehlen. Die Funktion der Tracht ein Gemeinschaftsgefühl zu erzeugen ist also durchaus auch heute noch von Belang.
Tanz in den Mai statt Tanz auf der Bierbank
Weniger traditionelle Einwohner Bayerns tragen ihre Dirndl und Lederhosen außer auf der Theresienwiese nur noch am 1. Mai. Dieser ist ein großer Feiertag im Oberland – regulär der „Tag der Arbeit“, dort eher ein Tag des Tanzes. Alle vier Jahre wird in einer Gemeinde ein neuer Maibaum aufgestellt, den die Burschenschaft in den Monaten davor selbst fällt, herrichtet und bewacht. Am 1. Mai selbst wird mit Musik, Tanz, Tracht und natürlich Bier gefeiert. Danach hängen Viele das Dirndl und die Lederhose wieder in den Schrank, wo sie bis zum Oktoberfest bleiben. Schade eigentlich, immerhin sieht in Tracht wirklich jeder gut aus. Ihre Hauptfunktion ist eben nach wie vor die Optik. Und seien wir mal ehrlich – Gründe, Bier zu trinken, auf Tischen zu tanzen und sich schön zurechtzumachen gibt es immer!
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